3 mol Spiess-op! und Langenfeld Helau!
Verdammp lang her… Ein Streifzug durch den Langenfelder Karneval:
1952- 7 Jahre nach dem Ende des 2.Weltkrieges war die Stadt Langenfeld eine in der Tat „Junge Stadt an alter Straße“.
Aus der „Samtgemeinde Monheim-Richrath(1814)“ wurde 1851 die „Bürgermeisterei Richrath“, bestehend aus den Einzelgemeinden Richrath und Reusrath, ab 1910 hieß es „Gemeinde Richrath-Reusrath“, ab 1936 „Landgemeinde Langenfeld-Rheinland“ und mit der Erlangung der Stadtrechte war dann schließlich 1948 die „Stadt Langenfeld“ geboren. Der Bazillus carnevalensis hatte aber schon weit vorher Teile der Bevölkerung im Stadtgebiet befallen.
Erste schriftliche Beurkundungen existieren aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Krankheitsverlauf war indes noch nicht wirklich gesundheitsgefährdend, verglichen mit den äußerst heftigen, wochenlang anhaltenden Schüben der Jetzt-Zeit. 1878 gab es in Immigrath tatsächlich schon eine Damensitzung, geleitet von einem „närrischen Rollmops“. Im Jahr darauf war es ein „närrischer Knubbel“, der der Sitzung vorsaß. Geradezu überschäumende und kaum zu bändigende Karnevalsbegeisterung zeigte auch der „Langenfelder Radfahrer-Verein“ (ja ja, so was gab auch!), der am Fastnachtssonntag 1902 zu einer „Kappenfahrt des Clubs mit Musik durch den Ort“ einlud. Freudentaumel pur.
Die „Immigrath-Langenfelder Narrenzunft“ veranstaltete im Januar 1903 eine „Große Gala-Sitzung mit Damen(!)“ in der Gaststätte Klophaus (später Nussbaum, heute Bertelsmann-Club/Rex-Kino) und am Rosenmontag eine „Große Schlusssitzung mit Preis-Maskenball“ in der guten Stube der Bürgermeisterei, der Wilhelmshalle.
Dass die kostümierten Narren in den Sälen blieben und keine Umzüge stattfinden durften, dafür sorgte der damalige Bürgermeister Julius Haas (1877-1908), nach dessen Pensionierung das karnevalistische Blatt neu gemischt wurde und schon 1909 die Zeitung den „Freunden des rheinischen Humors und karnevalistischer Gemütlichkeit“ die Meldung kundtat, „..dass hier ein karnevalistischer Verein in der Bildung begriffen ist.“ Und am 22.November 1909 konstituierte sich im ‚Elberfelder Hof‘ gegenüber von Haus Arndt die „Immigrather Bürgerwehr“, als Karnevalsverein „Aehnze Käls“ eingegangen in die Langenfelder Stadtgeschichte als erster „richtiger“ Jeckenclub, der in den kommenden 4 Jahrzehnten im Langen-felder Karneval den Ton angab, Sitzungen und gar Rosenmontagszüge veranstaltete.
Die Vereinssatzung wurde am 9.November 1910 gelesen, genehmigt und unterschrieben vom Haas-Nachfolger im Bürgermeisteramt, Felix Metzmacher, versehen mit einem Stempel der „Polizeiverwaltung Richrath-Reusrath, Kreis Solingen“.
Die Original-Vereinssatzung und das Protokollbuch der Aehnze Käls befinden sich im Besitz der „KG Spiess-Ratzen 1952 Langenfeld“. Äußerst amüsant zu lesen sind die –natürlich– handschriftlich verfassten Sitzungsprotokolle des Vereins aus den Jahren 1928 bis 1948. Hatte der Schriftführer Klespe die Protokolle noch in Sütterlin-Schrift penibel und akkurat verfasst, so machte es uns sein Nachfolger Köllermann einfacher, die ausgesprochen humorvoll verfassten Niederschriften zu lesen, indem er sich einer für uns leserlichen Schriftweise bediente. Das ist mitunter herrlich zu lesen, mit welchem Witz und Selbstironie der Köllermann das ach so ernste Karnevalsgeschäft der Aehnze Käls beschreibt und die oft sehr ausgiebigen und feuchten Aktivitäten außerhalb der Session schildert. Einfach köstlich. Diese Protokollbücher wären beinahe im Müllorkus verschwunden, hätte sie nicht der Ex-Spiessratze und Ex-Prinz Dietmar Servatius aus einem Mülleimer gerettet! Wer die da reingeschmissen hat bleibt unser Geheimnis. Sachen gibt’s, man glaubt es nicht. Karneval im Eimer! Manchmal muss man einfach Glück haben…
Die Aehnze Käls(für Immis: Ernste Kerle) blieben lange die einzige veritable Karnevalsgesellschaft im Ort und bekamen erst in den Vierzigern Gesellschaft von „Jubel im Döppen“, den „Doorper Jonge“(1949) aus Richrath, der „Bim-Bim“ der Straßenbahner in Immigrath(1949) und in 1952 die „Neue Langenfelder Karnevalsgesellschaft Grün-Weiß“.
1952-6.Januar, ein Sonntag wars, als in der Gaststätte Rauwald ein neuer Karnevalsverein gegründet wurde. Also noch einer….. aber während die oben Genannten im Laufe der Zeit ihr Leben aushauchten -der eine früher, der andere später- etablierte sich dieser neue Verein recht schnell und überdauerte alle Stürme und Wirren und feiert am 6.Januar 2007 die 55.Wiederkehr seiner Gründung, diesmal ein Samstag. Philipp Möxs war Gründer und erster Präsident der „Spiess-Ratzen“, so der Name des karnevalistischen Neugeborenen. Screenshots Er war als Unternehmer im Baugewerbe tätig und so lag es nahe, dem Verein einen Namen zu verpassen, der aus diesem Umfeld herrührt: „Spiess-Ratzen“.
Nochmal für Immis: Das waren die meist rechteckigen Metallkästen, in denen die Handlanger am Bau den Speiß, den Mörtel, eben den Spiess auf der Schulter nach oben zum Maurer brachten. Und wenn der Maurer mal nix mehr in dr‘ Spiessbütt hatte, erscholl der Ruf ‚Spiess op‘. Dann wurd’s für den Handlanger aber höchste Zeit! Das galt auch für’s Bier, damit der Spiess nit zo drü wed.
Einen unterentwickelten Ideenreichtum konnte man dem Ratzen-Chef Möxs und seinen Mitstreitern wahrhaftig nicht nachsagen. Hatten sie das zum Beispiel beim Höflichkeitsorden bereits unter Beweis gestellt, so war es 1961 die Idee, künftig einen Langenfelder Postillion und eine Christel von der Post zu küren, eine Reminiszenz an die Geschichte der Posthorn-Stadt. Darin wurden sie auch unterstützt vom stellvertr.Bürgermeister und späterem Landrat des damaligen Rhein-Wupper-Kreises (1964-1974) und Mitglied des Landtags von NRW (1966-1970), Wilhelm Helf.
Im Spätherbst 1961 wurde das „Komitee Langenfelder Karneval“ gegründet. Es hatte sich zur Aufgabe gemacht, die karnevalistischen Aktivitäten der verschiedenen Vereine – so z.B. auch der Gesangsvereine oder Sportvereine– terminlich zu koordinieren und untereinander abzustimmen und die Weiterentwicklung des städtischen Karnevals in Cooperation mit den Vereinen zu betreiben. Eine Entscheidung, die sich als zukunftsweisend und richtig herausstellen sollte.
Am 31.10.1961 schließlich lud der spätere erste Vorsitzende des Komitees, der Zahnarzt Dr. Artur Wild, seines Zeichens Spiess-Ratzen-Mitglied und deren späterer Ehrensenator u.a. ‚seinen‘ Vorsitzenden Philipp Möxs ein ins Cafe Sticherling zu einer ersten Beratung „dieserhalb“.
Auch beim ersten Rathaussturm am Rosenmontag 1961 kämpften die Spiess-Ratzen leidenschaftlich in vorderster Linie. Schließlich jow et jet zo müffele und jet zo süffele. Da kann mer doch die Angeren net em Stech loossen!!
Zur ersten Proklamation des Postillions und seiner Christel kam es dann am am 14.Januar 1962 im Jahnhaus. Restlos begeistert waren die Karnevalisten, als der zum Postillion gekürte 23-jährige Musikstudent und kfm. Angestellte Willi Lampenscherf aus Stefenshoven die Arie des „Postillon von Lonjumeau“ schmetterte: „Freunde, vernehmet die Geschichte, von einem jungen Postillion…“. Chronisten berichten von einem großartigen Tenor und selbst die Nachbargemeinden wollten ihn für Auftritte gewinnen- und bekamen ihn auch. Eine zweite Amtszeit für Lampenscherfs Will war die „Quittung“.
In Langenfeld entwickelte sich also etwas. Etwas, was sogar in der karnevalistisch um Längen überlegenen Nachbarstadt Monheim aufmerksam registriert wurde. Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass es eine sehr freundschaftliche Beziehung zwischen den Spiess-Ratzen und der Monheimer Gromoka gab, die in schöner Regelmäßigkeit zu Gast bei den Ratzen waren.
Erst recht nicht 40 Jahre später.
Aber da war auch noch etwas anderes, Neues: Die Spiess-Ratzen waren seit 1968 im Langenfelder Karneval nicht mehr alleine. Es war nicht das Festkomitee, das seine Aufgabe ja als Dachorganisation versteht und das ohne die Vereine, die Karneval ja letztendlich bestreiten, ohne Betätigungsfeld wäre, nein es war ein neu gegründeter Karnevalsverein mit dem schönen Namen „Prinzengarde“.Aus diesen Reihen kam der Vorschlag, künftig ein Prinzenpaar zu küren, dass für eine Session das Narrenvolk regiert. Dem wurde allgemein zugestimmt und so kam es in der Session 68/69 zum ersten Langenfelder Prinzenpaar Heinz Köbbe und Gerdi Meier. Postillion und die Christel von der Post waren fortan das Traditionspaar der Stadt Langenfeld, und so ist es ja heute noch.
Es war schon eine rechte Durststrecke, die die KG in den Jahren zwischen 1965 und `70 zurücklegen musste. Das Wirtschaftswunder in der immer noch jungen Bundesrepublik Deutschland bekam seine erste Delle mit der Wirtschafts-Rezession 66/67, die Ablösung Ludwig Erhards als Bundeskanzler und die Bildung einer großen Koalitions-Regierung SPD/CDU/CSU unter Kurt-Georg Kiesinger war die Folge. Das Ausland wurde zusehends als Urlaubsziel entdeckt- allen voran Bella Italia, dorthin floß (und fließt..) viel Geld. Die Beatles & Co. hatten die Jugend voll im Griff und der Elterngeneration standen die Haare zu Berge bei all dem was auch haarmäßig über den Kanal auf den Kontinent herüberkam. Man leistete sich ein Auto und in immer mehr Wohnzimmern stand eine Flimmerkiste. Kurzum: Das Freizeitverhalten begann sich schon merklich zu verändern.
Und es mögen auch interne Fehler gewesen sein bei den Spiess-Ratzen, die es schließlich notwendig machten, eine Art von Reorganisation durchzuführen. Das Vereinssäckel hatte bei einem Kassenbestand von 13,05DM akute Schwindsucht und die Mitgliederliste war recht schnell zu lesen und auswendig zu lernen. Und hätten sich nicht im April 1970 bekannte und einflussreiche Langenfelder Bürger wie Doktor Wild, Landrat Helf oder Ex-Stadtdirektor MDL Hans Koch für die KG stark gemacht und die Trommel gerührt—ja wer weiß, ob der Patient KG Spiess-Ratzen noch mal auf die Beine gekommen wäre. Er kam aber wieder. Mit Philipp Möxs als Präsident und dem Standesbeamten Ernst Kolf als Geschäftsführer.
Bereits am Ende des Jahres war der Mitgliederbestand wieder auf über 50 Personen angewachsen- alles Männer, alles Männer. Diese Männer gaben sich aber einen Ruck (muß ein großer Ruck gewesen sein!),vielleicht wollten sie sich beim Christkind noch ein bisschen einschmeicheln, vielleicht hatte ihnen aber der Nikolaus oder derHans Muff die Leviten gelesen, denn diese Männer beschlossen am 10.Dezember anno 1970, dass auch Frauen Mitglieder der Gesellschaft werden können! Hört, hört! Die Spiess-Ratzen-Männer emanzipieren sich! Und schwupps, hatten’se schon 3 neue Mitglieder, 3 Damen nahmen das Angebot gerne an!
Und es ging tatsächlich wieder aufwärts, die erste Prunksitzung nach langer Pause sah im Januar 1971 eine ausverkaufte Stadthalle, es gab 1971 den ersten „richtigen“ Karnevalszug im Städtchen, das mittlerweile auf gut und gerne 47000 Einwohner angewachsen war. Die Anregung zum Zooch kam vom amtierenden Prinz, dem Immobilienmakler Alfred Kaczmarek.Die Spiess-Ratzen waren dabei, mit Wagen (VW-Bus vom Gerüstbau Schmitz) und Fußtruppe. Es war eben ein Anfang im Kleinen- für alle! Und noch etwas wurde 1971 eingeführt: Der Hoppeditz wird seither zur Eröffnung der Karnevalssession geweckt und ist zum festen Bestandteil im städtischen Fasteläär geworden, zu dem alle Vereine ihre Abordnungen senden. Der arme Kerl wird Aschermittwoch wieder verbrannt, aber irgendwie kriegt der immer wieder die Kurve, denn im nächsten Jahr muß die Schloofmötz wieder mit vill Jebrüll geweckt werden.
1983 fragte Rudi Paas in seinem RP-Artikel: „Werden Langenfelds Bürger karnevalsmüde?“. Nach jahrelangem „Ausverkauft!“ saßen plötzlich nur noch 300 Leute in der Halle und Werner Noe hatte alle Mühe, die Stimmung in die Höhe zu treiben. Harte Arbeit..
Die Damensitzungen, die die Spiess-Ratzen seit vielen Jahren zusammen mit dem Heimatverein Postalia im Becker&Bernhard-Saal veranstalten, waren und sind ständige Renner im Geschäft und sind Beleg für eine ausgezeichnete Zusammenarbeit beider Vereine.
Aber die Erfolgsgeschichte der eigenen Prunksitzungen bekam eben in diesem Jahr 1983 den ersten richtigen Knacks. Warum, wieso, weshalb? Das kann und soll hier nicht schlussendlich analysiert werden. Im Unterschied zur Mathematik ist ‚das Ganze‘ im wahren Leben eben immer mehr als nur die ‚Summe der einzelnen Teile‘. Die Sitzungsprogramme konnten es eigentlich nicht gewesen sein, folgt man den Darstellungen in der Presse. Auch wenn der „Import“ von Programmpunkten aus Wattenscheid, Dortmund und dem restlichen Westfalen schon sehr mutig war. Trotzdem: Die waren wohl nicht schlecht, sonst hätten Rudi Paas&Co. von der schreibenden Zunft das journalistische Fallbeil(chen) schon sausen lassen. Die geringe Besucherzahl der 83-er Prunksitzung hinterließ Spuren in der KG. Aber die Session 1983/84 sollte einen neuen Höhepunkt in der 30-jährigen Geschichte der Spiess-Ratzen bringen: Die kleinste und zugleich älteste Karnevalsgesellschaft der Stadt mit ihren unbestreitbaren Verdiensten um dieses Brauchtum in Langenfeld stellte mit dem Ehepaar Lange Prinz Dieter II. und Karin III. erstmals das Prinzenpaar des Langenfelder Karnevals.
Lampenfieber war bei beiden wohl ein Fremdwort- übrigens anders als 11 Jahre zuvor beim damaligen Prinz Wolfgang II, der seinem Publikum nach dem Verlesen der närrischen Gebote bei der Proklamation gestand: „Glauben Sie mir: Es ist doch ganz schön schwer, hier oben zu stehen…“. Soweit Wolfgang II., mit bürgerlichem Namen Wolfgang Schapper. Schapper und Lampenfieber– man glaubt es nicht………. Dem jungen Prinzenpaar Dieter und Karin schlug von Beginn an eine enorme Welle der Sympathie und Begeisterung entgegen, schwappte bis in den großen Saal der Stadthalle und bescherte den Spiess-Ratzen zur Prunksitzung am 27.Januar 1984 noch einmal ein ausverkauftes Haus. Es sollte für lange Zeit die letzte ausverkaufte Prunksitzung in der guten Stube Langenfelds für die Spiess-Ratzen sein. Werner Noe legte nach elf Jahren sein Amt als Sitzungspräsident nieder nachdem er bereits 2 Jahre vorher den Geschäftsführerposten abgegeben hatte.
Auch im Jubiläumsjahr 1985 (33Jahre) und in 1986 ließen die Besucherzahlen in der Stadthalle mehr als zu wünschen übrig. Die Resonanz in der Halle war hervorragend, was das Programm anbelangt.Und der Sitzungspräsident und Ex-Prinz Dieter Lange hatte es wahrlich nicht einfach. Aber es klappte.Und zwar sehr gut. Aber was nutzt das alles, wenn die Kasse nicht stimmt. Kein Spiess-Ratzen-Exklusiv-Problem, auch die anderen Vereine klagten über schleppenden Kartenverkauf. Vielleicht trug seit Mitte 1985 auch der jüngste 17-jährige Leimener mit seinen Filzbällen und ein Jahr später die junge Gräfin mit dem gleichen Arbeitsgerät dazu bei, dass die Leute zu jeder Tages- und Nachtzeit vor dem Fernseher hockten wenn es wieder hieß: Vorteil Becker, oder so…. Und da man den Leuten ja was bieten wollte und musste und die Akteure auf den Bühnen immer bekannter durch Funk und Fernsehen und die Gagen demzufolge immer üppiger wurden und auch die Saalmieten und Nebenkosten einen Drang nach oben zeigten, war es doppelt schmerzlich, wenn die Leute, denen man ja was bieten wollte, zu Hause blieben und sich anderweitig unterhalten ließen. Und eine kleine Gesellschaft, wie es die Spiess-Ratzen nun einmal sind, trifft dies noch umso mehr , da sie nicht über die reine Mitgliederzahl hinaus den Potenzierungseffekt (Angehörige, Freunde der Mitglieder etc.) aufweisen kann wie eine größere Gesellschaft z.B. jenseits der 100 Personenmarke. So war es eine richtige Entscheidung der Mitgliederversammlung als höchstes Organ des Vereines, einen Gang zurück zu schalten, statt einer kostenintensiven Prunksitzung in der Stadthalle einen Kostümball mit Programm und mit Tombola in kleineren Räumlichkeiten zu organisieren, um Kräfte zu sammeln, den Verein zu konsolidieren, und „eines Tages“ wieder eine Große Sitzung veranstalten zu können. Und so war es denn auch.
Nach der Hubertushalle in Gieslenberg 1987 war es von 1988 bis 1991 die Schießanlage der St. Sebastianer an der Lindberghstraße, und –nachdem der Platz dort nicht mehr ausreichte–, seit 1995 der kleine Saal der Stadthalle, die dem jährlichen Kostümball der Spiess-Ratzen den geeigneten Rahmen gaben. Mit einigen Unterbrechnungen allerdings.
Man spricht in Bezug auf Personen von einer Ära, wenn diese Personen über einen recht langen Zeitraum in ihrer Funktion oder kraft ihres Amtes eben diesen Zeitraum entscheidend mit beeinflusst und geprägt haben. Eine solche Ära soll hier einmal willkürlich auf 10 Jahre angelegt sein. Da hatten die Spiess-Ratzen die Ära Möxs von 1952 bis 1972 als Vorsitzender und Präsident, die Ära Noe von 1973 bis 1984 als Sitzungspräsident und die Ära Gladbach, die 1972 begann und im Jahre dieser jetzigen Betrachtung, 1992, bereits stramme 20 Jahre anhielt. Zeit also, eine weitere Ära einzuläuten: Klaus Schreiber aus Solingen, der als Kassenprüfer, 2.Wagenbaumeister und 2.Geschäftsführer schon Erfahrung im Buiseness besaß, wurde im Rahmen der Jahreshauptversammlung vom 31.03.1992 zum neuen Sitzungspräsidenten gewählt und trat damit die Nachfolge von Herbert Roßelnbruch an. Wir werden sehen…
Ein festes Quartier hatte die KG als Vereinslokal dann in 1992 auch gefunden: „Zum Brauhaus“ an der Solinger Straße hieß das frühere Cafe Zimmermann-Bei Ruth-Treffpunkt-Brennpunkt, seit der Spiess-Ratze und frühere Leichlinger Karnevalsprinz Gerd Spottock das Lokal in 1991 übernommen hatte.
Als „Brennpunkt“ unter dem fast schon legendären Wirt Hans-Josef Korsten –auch er Spiess-Ratze- war das Lokal schon 1974-1976 und in 1982 Ort der Versammlungen der KG.
Nach einer so langen Amtszeit eines Vorsitzenden ist es für jeden Nachfolger schwer, in die Fußstapfen des Vorgängers zu treten oder gar neue Schuhe anzuziehen und einen eigenen Weg zu beschreiten. Es ist daher dem Metzgermeister Peter-Ernst Frenz hoch anzurechnen, dieses Wagnis am 5.4.2003 bei seiner Wahl zum neuen Vorsitzenden auf sich genommen zu haben. Der Verein befand sich im Umbruch, nicht erst seit, aber erst recht nach dem Tod Hajo Gladbachs.
Die ersten Sitzungen fanden noch in der Gaststätte „Weißenstein“ im Ortsteil Berghausen statt, der Elferrrat zünftig im Maurer-Look gekleidet, mit Spiessback(welch ein Wort!), Wasserwaage, Blootwoosch und Bier.
Vornehmes Schwarz lösten allerdings Spiessback, Wasser-waage und Bloot-woosch im Elferrat ab, als aufgrund der großen Nachfrage erstmals die Wilhelmshalle Schauplatz der Spiess-Ratzen-Sitzung am 16.1.1956 wurde.
Ein leibhaftiger Stadtoberinspektor wurde mit dem Höflichkeitsorden für den freundlichsten Beamten der Stadtverwaltung ausgezeichnet. Eine Novität im Karnevalsgeschehen, gleichwohl eine gute Idee, da zur damaligen Zeit die Höflichkeit und Freundlichkeit in deutschen Amtsstuben eine relative Seltenheit war.
„Unter tosendem Beifall“(Pressezitat) war Stadtoberinspektor Hubert Klinkers der Ausgezeichnete, dessen Karriere ihn an die Spitze des Ordnungsamtes brachte und zu den populärsten Bediensteten der Stadtverwaltung zählte. Im Jahr darauf, 1957, wurde der Orden an alle Polizei- und Kriminalbeamten in Langenfeld verliehen. Stellvertretend für seine Kollegen nahm Hans Galubinski die Ehrung entgegen, den wohl die wenigsten unter seinem richtigen Namen -eben Galubinski- kannten, der aber als der „lange Hans“ in Langenfeld genauso bekannt war wie der sprichwörtliche bunte Hund.
Das waren noch Zeiten…
Am 9. Februar 1957 fand diese Prunksitzung statt und am 1.April desgleichen Jahres kamen die Bagger, um der guten alten, sehr wohl aber bedenklich baufälligen Wilhelmshalle den Garaus zu machen.
Im Wissen um den Abrisstermin verließ Philipp Möxs nach der Prunksitzung das Gebäude in den frühen Morgenstunden mit dem traurigen Abschiedssatz: „Ärm Wilhelmshall.“.
Das Langenfelder Bauunternehmen Wilhelm Held von der Friedhofstraße war federführend bei der Errichtung der neuen Stadthalle. Der Name Held war zu jener Zeit in Langenfeld allgegenwärtig, es gab den Kohlen-Held von der Solinger Straße, die Schreinerei Held an der Turnerstraße (Helds Pitter) und u.a. Hoch- und Tiefbau Wilhelm Held (Helds Willem), eben jener Wilhelm Held, der nach dem Tod des 1.Vor-sitzenden Lambert Hamel 1937 zum Vorsitzenden und Präsidenten der Aehnze Käls gewählt wurde.
Zahlreiche Bauten im Stadtgebiet sind mit dem Namen Held verbunden. So die Metzmacher-Schule, die evangelische und die katholische Volksschule in Richrath, die Johann-Gutenberg-Realschule , Kronprinz und Vits Maschinenbau und Kirchen über Kirchen: Christus-König Langenfeld, St. Gerhard in Gieslenberg und Maria Himmelfahrt in der Hardt. Zur Seligsprechnung hat es aber dann doch nicht gereicht…
Und dieser Wilhelm Held war es auch, der während einer Versammlung der Aehnze Käls am 1.Mai 1948 dem damaligen Vorstand einen gewissen Willi Giershausen zur Neuaufnahme in den Verein vorschlug. So hat’s der Köllermann notiert. Doch davon später.
Die feierliche Eröffnung des neuen Musentempels fand statt am 11.10.1959 und die erste große Veranstaltung in dieser u.a. mit einer hervorragenden Akkustik ausgestatteten Stadthalle stand unter dem Motto „Alles unter einem Hut“, startete am 30.Januar 1960 und war nach zweijähriger Pause die Prunksitzung der KG Spiess-Ratzen der Session 59/60. Der Grund für die Pause war, dass es in Langenfeld nach dem Abriß der Wilhelmshalle keinen geeigneten Raum für 500-600 Personen gab und die Fertigstellung der neuen Stadthalle abgewartet werden musste.
Die Aehnze Käls waren zu 100% und Haut und Haaren den Spiess-Ratzen beigetreten, die Käls selbst hatten sich als Verein aufgelöst, die bereits erwähnten Original-Dokumente hatte der letzte Käls-Chef Willi Essgen seinem Kollegen Möxs bereits überreicht. Die Weichen hierfür waren im Rahmen der vorhergegangenen Jahreshauptversammlung der Spiess-Ratzen in der Vereinsgaststätte Rauwald, im „Elberfelder Hof“, gestellt worden.
Überhaupt Rauwald. Hier wurde so mancher Plan ausgeheckt, nicht nur von den Möxs-Ratzen und den Aehnze Käls. Die Rauwalds hatten ihre Kneipe direkt gegenüber von Haus Arndt. Wenn man vor dem Haus stand, war links davon die „Lügenzentrale“ Lotto-Toto-Wagner (der Wagners Will wird’s mir im Himmel verzeihen) und rechts von Rauwalds Spielwaren Schönepauck. Und dazwischen der Galkhausener Bach, noch nicht gedeckelt, anheimelnd rauschend.
Die Rauwalds, das Trio infernale der Langenfelder Gastronomie. Wenn man die drei Stufen hochging, war linker Hand die Metzgerei, rechts gings zum Schankraum, dahinter schloss sich der geräumige Saal an. Es waren 3 Geschwister, alle ledig. D’r Jupp- sein Reich war die Metzgerei, durfte auch mal an den Tresen. Die 2 Schwestern waren et Lies und et Klör, also Elisabeth und Klara. Et Lies saß meistens am Fenster mit Blick zum rauschenden Bach, hatte Asthma und hustete, dass die Wände wackelten. Und et Klör machte die Theke, zapfte und bediente und das in einem Tempo, bei dem man ihr die Schuhe hätte besohlen können.
Das Aussehen der beiden Ladies war schon außergewöhnlich, so außergewöhnlich, dass Stammkunden —und die gab es reichlich— das gar nicht mehr wahrnahmen und Fremde meist schnell das Weite ergriffen angesichts Sturmfrisuren, die nur Schlimmstes erahnen ließen. Aber essen, essen konnte man unheimlich gut dort. Reichlich, deftig, günstig. Auch lokale Prominenz, auch Intelligenz wurde regelmäßig dort gesehen. Man musste ja nicht unbedingt die Küche vorher gesehen haben. Es war ja schon beruhigend zu wissen, dass die Katz dort unter, neben und auf dem Ofen für Ordnung sorgte. Und auch sonst…. Hat jut jeschmeckt. Viiiel Maggi. Und nachts soß et Lies am offenen Fenster und hatte die Bronchien zu und kötschte wieder zum Herzerbarmen. Damit ist zwar nicht zu spaßen Aber du musst immer wieder an die Küche denken
Sei’s drum, die Karnevalisten waren jetzt endlich alle unter einem Hut!
Es ging also wieder aufwärts. Auch im Folgejahr 1972 war die Stadthalle rappelvoll und alles jubelte und war begeistert. Aber irgendwo mußte doch ein Haar in der Suppe gefunden werden. Das wurde es dann auch. Der Präses monierte den Kassenbericht, Blumen waren an Nichtmitglieder verschenkt worden, der Geschäftsführer war der Meinung, der Langenfelder Karnevalszug käme auch ohne die 1300 Bälle aus, die Möxs organisiert hatte, darum wird er auch nicht der Bitte Möxs‘ nachkommen, diesen „Zugproviant“ abzuholen und überhaupt war man wohl allgemein der Ansicht, dass der Präsident etwas zu sehr im Mittelpunkt steht und die Arbeit des restlichen Vorstandes nicht ausreichend gewürdigt werde. Kurzum: Der Eklat war da! In der NRZ und der RP vom 11.4.1972 war zu lesen: „…bevor ich einen Infarkt bekomme — Präsident der KG Spiess-Ratzen trat nicht nur von seinen Funktionen zurück sondern erklärte auch seinen Austritt aus dem Verein, den er selbst vor 20 Jahren mitgegründet hatte.“
Eine Ära ging zu Ende. Wohl wahr! Aber eine neue, noch längere Ära sollte dann beginnen! Im Rahmen der Jahreshauptversammlung am 11.04.1972 im Hotel Stadt Langenfeld wurde der junge Elektromeister Hans-Josef Gladbach von der Feldstraße zum neuen Vorsitzenden gewählt. Überhaupt waren die ersten Jahre der neuen Dekade geprägt von Änderungen, Wachablösungen. Eine neue Generation nahm das Heft in die Hand. Keine schlechte Entwicklung, wie sich noch zeigen sollte.
Aber wer tritt das Erbe von Philipp Möxs als Sitzungspräsident an? Keiner da, keiner zuihaus‘. Aus der Kreisstadt holte man sich den „Alt-Karnevalisten“ Herbert Kopp, was sich ausdrücklich auf seine langjährige Zugehörigkeit zum und große Erfahrung im kreisstädtischen Karneval bezog und nicht auf das Düsseldorfer Dröppje. Opladen Alaaf!Langenfeld Helau! Doch die Mitgliederversammlung im Rahmen der Jahreshauptversammlung vom 10.April 1973 reagierte schnell und wählte den 25-jährigen Werner Noe zu ihrem neuen Sitzungspräsidenten. Damit begann schon wieder eine Ära bei den Spiess-Ratzen. Der Immichrooder Jung von der Grünstraße traf sofort den richtigen Ton und blieb in diesem Amt immerhin 11 Jahre. Eine für Karnevalisten magische, ja fast heilige Zahl.
Und neben der Personalie Noe gab es mit der Bestellung des neuen Wagenbaumeisters eine weitere weitreichende Entscheidung: Willi Giershausen, ja genau, derselbe Giershausen, der schon bei den Aehnze Käls mit von der Partie war und nach der Käls-Zeit die KG Grün-Weiß gründete, war jetzt bei den Spiess-Ratzen angekommen und auch sein Sohn, Detlef Giershausen steht seit 1973 auf der Mitgliederliste und hat sich in späteren Jahren ebenfalls als Wagenbaumeister einen Namen gemacht. Das 1970-er Jahrzehnt kann man ohne Übertreibung als eine einzige Erfolgsgeschichte der Spiess-Ratzen bezeichnen. Die Prunksitzungen in der Stadthalle waren ohne Ausnahme Jahr für Jahr ausverkauft und boten jeweils 4-5 stündige Unterhaltung, die in der Presse einmütig als „erste Sahne“ beschrieben wurden.
Die Veranstaltungsvielfalt in Langenfeld wuchs von Jahr zu Jahr. Immer mehr Vereine feierten ihre eigenen Veranstaltungen, ob Sport,- Kegel oder Gesangsvereine und auch die Kirchengemeinden wollten nicht hintenan stehen. Und natürlich die –ich nenn‘ es mal einfach so—“direkte Konkurrenz“ in der Stadt mit der bereits erwähnten Prinzengarde und ihrem Multitalent Manfred Stuckmann, der 1972 gegründeten Postalia mit dem schon legendären Mitbegründer und langjährigen Vorsitzenden Rudolf Ernst an der Spitze und dem anderen Naturtalent als Sitzungspräsident, Julius Rees, und aus dem Langenfelder Norden stieß 1977 noch der Richrather Karnevalsverein RKV dazu und der Ex-Spiess-Ratze Manfred Hahnenberg war in Langenfeld ebenfalls keine unbekannte Größe. Und auch die KG Bim-Bim bimmelte noch mit. Es gab Prunksitzungen, Galasitzungen, Herren- und auch Damensitzungen und und und… Die Karnevalszüge wurden immer länger und bunter. Der bacillus grassierte.
Und Langenfeld arbeitete sich peu-a-peu, Jahr für Jahr immer näher an die umliegenden Karnevals-Hochburgen heran, an Monheim, an Hilden, an Opladen resp. Leverkusen-Opladen. Nur die Leichlinger waren karnevalistisches Entwicklungsland, allerdings auch nicht ohne erste Erfolge. Und von Solingen, ja von Solingen wollen wir in diesem Zusammenhang gar nicht reden…
Alles wird teurer, das war schon immer so. Auch in den 70ern und erst recht nach dem ersten Ölpreisschock infolge des Jom-Kippur-Krieges zwischen Israel und den Verbündeten Ägypten und Syrien im Oktober 1973. Man überlegte sich also, wie Geld in die Kasse kommen soll. Organisiert von Willi Giershausen und seinen Helfern fand erstmals 1977 ein Sommerfest der Spiess-Ratzen in und um die Gaststätte „Am Fuhrkamp“ herum statt. Es wurde eine ständige Einrichtung, ab 1988 im Freizeitpark Langfort. Überwiegend erfolgreich– nur manchmal spielt Petrus nicht mit und lässt es stürmen und kübeln. 2006 nimmt man sich eine Auszeit. Personalmangel. Und auch das Stadtfest wird in jedem Jahr von der KG beschickt. Auch hier ist das Wetter immer die große Unbekannte. Viel, viel Arbeit im Vorfeld, während und nach den Festivitäten. Und die, die die Arbeit machen, sind immer dieselben…, de ja vu,… alles schon mal dagewesen.
Philipp Möxs, der Vielgenannte, erfüllte sich 1977 einen Herzenswunsch: Er wurde Karnevalsprinz.
„Seine“ alten Spiess-Ratzen schlossen Frieden mit ihrem ehemaligen Chef und Gründer und erhoben die 77er-Tollität zum „Ehren-Präsidenten“ der Gesellschaft. Möxs, von Rührung übermannt zu seinen Nachfolgern Gladbach und Noe: „Macht weiter so!“ Im Mai 1978 wird der Präsident der Prinzengarde, Manfred Stuckmann, neuer Präses des Festkomitees Langenfeld Karneval, kurz FLK. Werner Noe als Spiess-Ratzen-Präsident und 1.Geschäftsführer der KG scheitert mit 10:19 Stimmen. Neuer Vorsitzender und damit Chef des FLK wird Josef „Auto“ Brück, d’r Brücks Jupp.
Die 80er Jahre begannen so, wie die 70er endeten. Erfolgreich. Die Sitzungen trotz gestiegener Konkurrenz: ausverkauft. 1981, ein Jahr vor seinem Tod, erhält Senator Willi Giershausen vom FLK-Präsident Stuckmann das „Großkreuz des Langenfelder Festkomitees“ für 33 Jahre Karneval, Spiess-Ratzen-Chef Hans-Josef Gladbach –kein Mann der großen Worte, wohl aber der Taten– das „Ehrenkreuz in Gold“ der KG Spiess-Ratzen, überreicht von Werner Noe.
In der Prunksitzung der Spiess-Ratzen am 7. Februar 1981 geschah etwas Unerhörtes. Die Welt kam ins Stocken, als Hajo Gladbach -ausgerechnet der Hajo, wie gesagt, kein Mann der vielen Worte- den alten Ratzen-Schlachtruf „Spiess op!“ auf der Bühne ausposaunte und gleich mit dem verehrten Publikum einstudierte. Na ja, nicht die ganze Welt- aber zumindest die Welt vom FLK-Chef Josef „Auto“ Brück, der das überhaupt nicht witzig fand und bei seinem Auftritt mit seinem „Langefääl helau“ die Lautsprecher in der Stadthalle zun Höchstleistungen trieb um anschließend klar zu stellen:“Bei dem Helau muß es leiben!“.Punkt. Eine Woche später bescheinigte ihm aber Möxsens Philipp in der RP vom 17.02.1981 Null-Ahnung vom Brauchtum. Auch Punkt. Ausgang der Auseinandersetzung: Ein Hoch auf „Spiess op“, und zwar drei Mool. Philipp Möxs starb am 1.06.1990.
Ab und zu waren die Spiess-Ratzen auch mal außerhalb der Session ‚on Tour‘, rein privat, ohne Helau. So auch in 1993, als eine ganze Busladung in Richtung Losheim/Saar einfiel. Das ist ja an sich nicht so ungewöhnlich, als dass es hier besonderer Erwähnung bedürfte. Doch als der harte Kern (Namen werden nicht genannt!) sich zu mitternächtlicher Stunde auf den Rückweg vom Lokal am See zum Hotel (vielleicht 300 Meter) machte, verspürte ein einziger Teil dieses Kerns einen derart starken natürlichen Drang, dass er flugs hinter einem kleinen Strauch verschwand, hinter dem auch eine Straßenlaterne stand. Aber das Erstaunen war doch sehr groß, als es auf einmal schlagartig auf dem ganzen Gelände stockdunkel wurde und auch die Musikkapelle von ihren Verstärkern im Stich gelassen wurde. Kurzschluß…? Wohl zu genau gezielt… oder doch nur Zufall?
Jedenfalls Riesengaudi!
Thekenrunde war fällig!
Und es ward Licht.
Nach 10 Jahren Pause sah die Session 1993/94 erneut ein Spiess-Ratzen-Prinzenpaar: Herbert I. und Prinzessin Ingrid IV. Roßelnbruch. Herberts Vater, Kurt Roßelnbruch -langjähriges Spiess-Ratzen Mitglied-, starb kurze Zeit nach der Proklamation. Dass Herbert und Ingrid trotz dieses traurigen Ereignisses dennoch die Session über im Amt blieben, nötigt mir noch heute alle Achtung ab. Doch der Kurt hätte es auch nicht anders gewollt…. Und sage einer, die Spiess-Ratzen hätten keinen Mut: Auch im Jubiläumsjahr 1996, Session 1995/96, kam das Prinzenpaar aus den Spiess-Reihen: Das Ehepaar Schreiber, Prinz Klaus III. und Prinzessin Erika I. Aus Solingen. Ausgerechnet Solingen. Die tiefe Langenfelder Zuneigung zu Solingen führt in die jüngste Vergangenheit zurück, als im Rahmen der kommunalen Gebietsreform 1975 der Solinger Heißhunger auf Leichlingen und Langenfeld zwecks Eingemeindung letztlich doch abgewendet werden konnte.
Aber da die Schreibers ja beide aus Leichlingen –genau aus Witzhelden— kommen, gab es dann doch Entwarnung auch beim letzten Verzweifelten!!
Das war eine Session! Nach langen 120 Monaten waren die Spiess-Ratzen wieder „zu Hause“, in „ihrem Wohnzimmer“, wie es seit Boris Becker heißt. Rappelvoll die Halle, ein Super-Programm und der Prinz gibt auch noch den Sitzungspräsidenten! Und da noch am gleichen Tag der 1.Vorsitzende Hajo Gladbach Geburtstag hatte, war das ‚Ding komplett‘.
Schaut her: Sie können’s noch, die Spiess-Ratzen. Wenn auch nicht jedes Jahr.
Als im Jahre 2000 der damalige 1.Geschäftsführer Franz Wrobel nach 6 Jahren Amtszeit das Angebot der ARA-Schuhfabriken annahm und nach Indonesien ging, wurde mit Kornelia Demar erstmals eine Frau in eine exponierte Position innerhalb des Vereins gewählt.
Dies ist insofern bemerkenswert, da die Männer seit der Öffnung des Vereins für das weibliche Geschlecht 30 Jahre gebraucht hatten, sich zu emanzipieren und einer Frau diesen verantwortungsvollen Posten zuzutrauen. Und dass auch der Posten des 2.Geschäftsführers weiblich besetzt wurde, ist positiv zu vermerken. Von wegen: Schwaches Geschlecht, meine Herren! Dann die Überraschung im Folgejahr 2001: Erneut luden die Spiess-Ratzen zur Prunksitzung in die Stadthalle ein.
Im Foyer waren hernach Stimmen zu hören: „Das war Spitzenklasse. Das ist nicht mehr zu toppen!“. Und es waren Mitglieder der anderen Vereine, die sich da einig im Urteil waren.
Das tut gut.
Aber nach einer relativ langen Phase der Harmonie und der Ruhe brauchte es wahrscheinlich mal wieder etwas Leben im Karton und so wurde das große Rad der gegenseitigen Nettigkeiten angeworfen und kräftig dran gedreht. Aber auch das ist kein Spiess-Ratzen-Spezifikum, das kommt überall vor.
In der Wirtschaft, in der Politik, ja auch in der Kirche, in den besten Familien und –natürlich– im Vereinsleben, mal mehr, mal weniger ausgeprägt, mal mit großer Ernsthaftigkeit, erstaunlicher Standfestigkeit und einer oftmals bis an die Grenze physischer und psychischer Belastbarkeit gehender Intensivität. Leider aber oftmals ohne objektiv feststellbarem, im Vergleich zum enormen Aufwand höchstens marginalen Anlass.
2003 dann griff eine höhere Macht ein und hielt für einen lähmenden Augenblick dieses große Rad einfach an. Der 16.Januar 2003 war es, als Hans-Josef Gladbach, seit dem 11.April 1972 Erster Vorsitzender der KG Spiess-Ratzen 1952 Langenfeld, den langen Kampf gegen einen übermächtigen Gegner verlor. 3 Tage vor seinem 62.Geburtstag. So manch einer im Langenfelder Karneval erinnerte sich an die letzte Prunksitzung der Spiess-Ratzen im Januar 2001. Ohne Jubiläum. Ohne ersichtlichen Anlaß. Wirklich ohne ersichtlichen Anlaß!?
Es war sein Wunsch…
Es war die vermutlich schwerste Aufgabe des Sitzungspräsidenten Klaus Schreiber, am 17.Januar 2003 die Karnevalssitzung der KG im kleinen Saal der Stadthalle zu eröffnen. Im Sinne und zum Gedenken an Hans-Josef Gladbach. Einen Tag nach seinem Tod.
In 2005 legte Peter Frenz sein Amt nieder, in der Erkenntnis, dass sein eigenes Geschäft -welches durch die große Konkurrenz der SB-Märkte und Discounter nicht einfacher geworden ist- und intensive Vereinsarbeit zeitlich nur sehr schwer miteinander zu vereinbaren sind.
In wochenlanger Arbeit wurde die Vereinssatzung nicht nur überarbeitet sondern zeitgemäß aktualisiert und den geänderten Erfordernissen juristischer, finanzieller und steuerlicher Art angepasst und Allgemeinplätze durch konkrete Vorgaben und Regelungen ersetzt und am 19.0.2008 wurde dem Verein die Gemeinnützigkeit erteilt und heißt seither und offiziell: Karnevalsgesellschaft Spieß-Ratzen 1952 Langenfeld e.V.
Die Position des 1.Vorsitzenden wurde als Verbeugung vor Hans-Josef aus der neuen Satzung herausgenommen und durch den Posten des Ersten Geschäftsführers ersetzt. Es gibt nun einen Präsidenten und keinen „nur“ Sitzungspräsidenten mehr und mit dem Schatzmeister und dem Zweiten Geschäftsführer ist der Geschäftsführende Vorstand komplett.
Die Session 2006/2007 stand natürlich ganz im Zeichen des 55-jährigen Vereinsjubiläums der KG Spieß-Ratzen. Und ebenso natürlich ließ es sich der Verein nicht nehmen, das Prinzenpaar dieser Session zu stellen. Klaus Schreiber als Klaus-Dieter 1. Schwang nach elf Jahren zum zweiten Mal das Narrenzepter und die Geschäftsführerin Kornelia Demar erfüllte sich als Prinzessin Kornelia 1. Ihren Herzenswunsch.
Die nachfolgende Prunksitzung im Januar 2007 zeigte ein hervorragendes Programm vor leider nicht ganz ausverkauftem Haus, aber dennoch ausgezeichneter Stimmung und guter Resonanz. Und im selben Jahr betraten die Spieß-Ratzen ein für sie als Veranstalter neues Terrain: Den Vorstellnachmittag, an dem sich Karnevalskünstler der versammelten Literatenschar präsentieren und bei Gefallen auch gleich für die neue Session gebucht werden können.
Zusammen mit dem Leichlinger Tanzclub LTC veranstalteten die Spieß-Ratzen dieses Casting in der Aula des Schulzentrums Am Hammer in Leichlingen, was im Vorfeld der Blütenstadt auf recht heftigen Protest traf, da die Leichlinger selbst kurzer Zeit danach den eigenen Vorstallnachmittag gefährdet sahen.
Nun – grundlos kann man das nicht nennen…
Aber die Spieß-Ratzen ließen sich nicht beirren und wurden letztendlich mit einer außerordentlich positiven Resonanz bestätigt. Bis 2015 führte man die Kooperation mit dem Leichlinger LTC fort, seit 2016 in Eigenregie ohne den LTC. Veranstaltungsort ist seit 2008 die Schützenhalle in Richrath, wo auch seit 2016 der Hoppeditz aus seiner Kiste geholt wird.
Das Jahr 2008 war überschattet von den Todesfällen dreier langjähriger Vereinsmitglieder. Im Januar verstarb der frühere Geschäftsführer Franz Wrobel, im Dezember Christel Giershausen und im August die Geschäftsführerin Kornelia Demar im Alter von nur 43 Jahren. Die bisherige stellvertretende Geschäftsführerin Gitta Christmann wurde als ihre Nachfolgerin von der Mitgliederversammlung gewählt. Dass Karnevalisten auch „ernst“ können, das bewiesen die Spieß-Ratzen 2009 in Zusammenarbeit mit der „Joker“-Musikband beim erstmals veranstalteten Schlagerabend in der Langenfelder Stadthalle. Star des Abends vor vollem Haus war der „Super Girl“-Sänger Graham Bonney, der zwar in den 60ern seine größten Erfolge hatte aber quietschfidel die Bühne in Beschlag nahm. „Ernst“ deshalb, weil der Erlös dieses Abends zu Gunsten von „Sag´s e.V.“ ging, dem in 1991 in unserer Stadt gegründeten Verein, der sich sehr erfolgreich der „Beratung und Prävention gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ – so der offizielle Anspruch – verschrieben hat.
Nach mehrjähriger Pause (seit 2006) fand dann 2010 wieder ein Sommerfest der KG statt. Aber nicht mehr an alter Stelle im Freizeitpark sondern auf dem Vorplatz der Stadthalle. Das wurde 2011 dann noch einmal wiederholt, um danach jedoch die Entscheidung zu treffen: Das war´s. Spieß-Ratzen-Sommerfest ist Geschichte. Und zudem eine sehr, sehr erfolgreiche Geschichte über all die Jahre, vor allem in einer im Grunde unschlagbaren Location, dem Freizeitpark. Aber Planung und Realisierung nehmen halt derart viel Zeit in Anspruch, dass das nur mit entsprechendem personellem Aufwand zu schaffen ist. Und genau dort liegt eben der leidgeprüfte Hase im Pfeffer. Feiern wollen sie ja alle. Aber arbeiten…
Das sieht beim alljährlichen Stadtfest nun nicht anders aus. Nur ist da der Aufwand etwas geringer. Das Problem aber ist dasselbe.
„Herr Prrräsident – die Woosch!“ Von wegen „Herr“!
Frau Präsidentin Regina Mehring, die erste Dame im Amt der KG!
2011 mit großer Mehrheit gewählt und 2014 wieder zurückgetreten. Das ging ja fix… Aber im Rahmen der Jahreshauptversammlung 2015 wurde ein neuer Präsident gewählt: Markus Zwank. Dessen Vater Werner jahrelang das Zepter im FLK geschwungen hat.
Jetzt also wieder „Herr Prrräsident – die Woosch!“
(Wobei – dat jehürt so eijentlich in et Hänneschen Theater…..ooch ejal.)
Und auch ein offizielles Hauptquartier oder neudeutsch Headquarter, hat der Verein nun. Nach Rauwalds „Elberfelder Hof“, der Gaststätte „Am Weißenstein“, Josef Korstens Brennpunkt und Gert Spottocks Brauhaus – um, nur einige zu nennen – trifft man sich seit 2012 in der Kutschertheke an der Metzmacherstraße, Alteingesessenen noch bekannt unter dem Namen seines Gastwirtes: Falkenstein. Ein Vereinsschild an der Hausfassade weist die Gaststätte als Vereinslokal der KG Spieß-Ratzen aus.
Im Februar 2015 verstarb nach 43 Jahren Zugehörigkeit Detlef Giershausen, der letzte mit diesem Familiennamen, einem Namen, der wie kaum ein anderer mit der Geschichte der Spieß-Ratzen verbunden ist.
Der alljährliche Höhepunkt jeder Karnevalssession ist selbstredend der Karnevalszug, bei uns am Karnevalssamstag. Über die Arbeit, die im Vorfeld im Grunde fast übers ganze Jahr zu leisten ist, über die Arbeit zu berichten hieße, Eulen nach Athen tragen zu wollen.
In jedem Jahr sind die Spieß-Ratzen dort vertreten und in jedem Jahr erstaunt es immer wieder, was da alles von einem kleinen Verein auf die Vereine gestellt wird.
Chapeau!!
Wie sang doch Curd Jürgens: „60 Jahre und kein bisschen weise…“
Bei den Spieß-Ratzen heißt es: „66 Jahre und kein bisschen leise…“
In diesem Sinne: 3mal Spieß – op!! (Punkt.)